Wir lesen Papst (Bericht von Jutta)
Theologische Tagung in Rascheid vom 7. bis 8. Dezember
Mit diesem Satz wurde die diesjährige Theologische Tagung der KSJ am 2. Advent eröffnet, etwas überraschend, da Sr. Dagmar Plum vom jesuitischen Flüchtlingsdienst wegen der Witterungsverhältnisse nicht aus Berlin rauskam. Also waren kurzfristig Reader für alle 15 Teilnehmenden vorbereitet worden und der gesamte Text des Schreibens „Evangelii Gaudium“ war auf der Leinwand zu verfolgen. Was wir lasen, ergab sehr gute Gesprächsrunden und am Ende den Entschluss, dass wir an Papst Franziskus schreiben. Er soll von uns hören, wie sein Text bei uns ankommt, wo wir großes Lob, wo wir Nachfragen und auch Kritik haben.
Wer „Die Freude des Evangeliums“ liest, kann sich leicht erklären, warum es so heiße Debatten um den Text gibt, sowohl innerkirchlich als auch im Feld der Wirtschaft. Papst Franziskus ist mehr als ein Linker, solche Kategorien treffen auf ihn nicht zu. Er ist voll heiliger Empörung, wenn er von den Opfern spricht, die unser Wirtschaftssystem mitsamt der dadurch produzierten Herzenskälte hinterlässt. Er geht noch einen Schritt weiter als die Theologie der Befreiung, die von marginalisierten Menschen sprach; Papst Franziskus spricht davon, dass wir Menschen wegwerfen, dass sie zu Sklaven und zu Müll gemacht werden. Aber ich bin schon bei den Abschnitten angekommen, die später im Text zu finden sind; zunächst einmal will er die Kirche instand setzen, seiner Sicht des Evangeliums der Armen zu folgen. Dazu ist eine Rundumerneuerung der Kirche notwendig und das bezieht er auf alle. Damit das Evangelium verkündet werden kann, müssen sich die „Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur“ verwandeln. Was am Text am meisten erstaunt, ist die Sprache: Franziskus schreibt emotional, man hört ihn reden, er will einladen, überzeugen und gewinnen, nicht dekretieren. Man spürt von Zeile zu Zeile, wie sehr es ihm ein Herzensanliegen ist, alle in der Kirche mögen für das Evangelium brennen, für seine Gerechtigkeit, für seine Barmherzigkeit, für seinen Halt und seinen Trost. Aus ihm spricht die tiefe Überzeugung, dass, wer das Evangelium liest, es lieben muss und sich von ihm in eine dauerhafte Begeisterung und Aufbruchstimmung versetzt sieht. Alles, was daran hindert, falsch verstandene Ämter, oberflächliche Einstellungen und lähmende Strukturen etwa, muss so schnell wie möglich überwunden werden, damit die Veränderungskraft und die Freude des Evangeliums wirken können. Unsere arme und kranke Welt sieht er mit sehr realistischen Augen: Wie zerstörerisch das System ist, beschreibt er mit einer Entrüstung, die man bisher nie von einem Papst oder Bischof gehört hat. Dabei ist er so klug, immer wieder den geliebten biblischen Text zu zitieren oder auch Schreiben seiner Vorgänger; vor allem aber Texte des zweiten Vatikanums und Beschlüsse von Bischofskonferenzen, vor allem aus den Armutsregionen der Erde. Was man allerdings kritisieren muss, ist der Abschnitt über die Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche, der so gar nicht zu dem restlichen Text passen will. Hier gibt er einfach das Übliche wieder und nur ein kleiner Hoffnungsschimmer fällt aus der Unsicherheit über die Herausforderung an die Kirche, die in der gleichen Würde von Frau und Mann steckt. Überhaupt fällt auf, dass Franziskus offen lässt, wann er die Kirche der Vergangenheit und wann er die der Zukunft meint. Wir interpretieren es so, dass er die Kirche als ständige Bewegung im wahrsten Sinne des Wortes versteht.
Wir haben etliche Fragen an ihn, die meisten sind Fragen nach einer Konkretisierung: Zu einer Dezentralisierung und Stärkung der Ortskirchen gehört eine Demokratisierung, das ist klar; aber wie weckt man in den jetzigen Bischöfen die Bereitschaft dazu? Manche Kirchenbilder sind fremd oder auch widersprüchlich: Die Kirche als „Braut Christi“ steht neben dem Bild vom Volk Gottes. Der Anspruch, eine solidarische Kirche der Armen zu werden, ist hoch; wie ist dieser Weg mit den jetzt schon überforderten Personen in Leitungsfunktionen zu gehen? Jedenfalls ist es gut, dass Papst Franziskus auf die Verwandlungsmöglichkeit der Kirche setzt und uns allen zutraut, unseren Beitrag dazu zu leisten. Was wir dafür tun können, wollen wir tun.
Samstagabend kam ein verspäteter Nikolaus zur Tagung; er kritisierte in seiner Lesung aus dem Goldenen Buch die europäische Flüchtlingspolitik, lobte aber seinen neuen Kollegen in Rom, bei dem das Thema gut aufgehoben sei. Mit einem Gottesdienst mit dem Geistlichen Leiter der KSJ, Schulpfarrer Joachim Keil, schloss die Tagung.