„Gewand oder Uniform – Wie aus normalen Männern Massenmörder werden“
8. Mai 2012 | Kommentare deaktiviert für „Gewand oder Uniform – Wie aus normalen Männern Massenmörder werden“
Aktuelles aus der Austellung – Teil 8
Zu diesem Thema war Georg Mertes vom Förderverein Gedenkstätte KZ Hinzert e.V. eingeladen zu sprechen und zum Nachdenken und Diskutieren anzuregen. Interessant waren schon seine Vorbemerkungen: Erklären heißt nicht entschuldigen, verstehen heißt nicht Verständnis haben und vergleichen heißt nicht gleichsetzen.
Klar ist, dass die Gräueltaten in der NS-Zeit tausende unmittelbare Täter und hunderttausende Helfer und Helferinnen hatten. Es gibt unterschiedliche Annäherungen, das Phänomen des Mitmachens zu erklären.
Götz Ahly geht vom Neidgefühl aus, dadem hohen Bildungs- und Erfolgsgrad der jüdischen Bevölkerung fußte und sich mischte mit einem theologisch unreflektierten Antijudaismus. Harald Welzer bezieht sich auf sog. Referenzrahmen (man kann auch sagen „Verpflichtungszusammenhänge“): Die Gewaltgewöhnung und die Normalität des Militärischen durch den 1. Weltkrieg, der Untertanengeist des 19. Jahrhunderts und die Ablehnung von Eigenverantwortung, an die die Nazi-Propaganda problemlos anschließen konnte. Der engere Verpflichtungszusammenhang ergibt sich aus dem Erwartungsdruck der sozialen Gruppe, aus eingeübten Verhaltensmustern und der Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung. Dass die Mehrzahl der „Ideologieträger“ junge, männliche, aufstrebende Karrierebewusste waren, verband sich leicht mit dem idealisierten Heldenbild aus der Romantik. Die Systematisierung des Tötungsvorgangs trug dazu bei, die Brutalität als „Arbeit“ zu definieren, die Zerlegung der Todesmaschine in einzelne Schritte verhalf dem Einzelnen dazu, sich der Verantwortung entziehen zu können. Dass man völlig straffrei brutal sein durfte, trug ebenfalls dazu bei wie ganz banale Motivationen wie Aussicht auf Beförderung, Belohnung, Anerkennung. Neu war für die meisten der 30 ZuhörerInnen, dass man sich dem Befehl zur Tötung entziehen konnte, außer in den letzten Monaten des Krieges, als die Verwaltung der Todesmaschine vollends aus dem Ruder lief.
Die Tötungsbereitschaft lässt sich nicht endgültig erklären, es bleibt immer noch das „Geheimnis der eigenen Entscheidung“, der Rest an Eigenverantwortung, vor dem niemand die Augen schließen sollte. Politisch lernen lässt sich jedenfalls, dass wir heute die sog. „Referenzrahmen“, also die Verpflichtungszusammenhänge und Abhängigkeiten, die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Erwartungen an uns ständig kritisch im Auge behalten sollten – mit dem Ziel, auf die Veränderung der Referenzrahmen Einfluss zu nehmen.
Alle Beiträge zum Projekt „Am Boden – Das Kleid einer KZ-Überlebenden “ finden sich unter dem Tag → „Am Boden“-Ausstellung