Aus dem Gespräch mit Consolée Mukantabana
Traumatherapeutin, am 11.10.2012 in Kigali
Nach dem Besuch der Gedächtniskirchen Nyamata und Ntarama und dem Besuch der offiziellen Gedenkstätte Gisozi haben wir ein Gespräch geführt, in dem es um die professionelle Beratungsarbeit mit Überlebenden des Völkermords von 1994 ging
Bei den Überlebenden des Völkermords von 1994 haben vor allem die 15-30-Jährigen Probleme, die ihre gesamte Familie verloren haben. Es fehlt eine ordentliche Bestattung der Toten und die damit verbundene Trauerbearbeitung, es fehlt die gemeinsame Zeit mit Eltern und Angehörigen beim Aufwachsen. Es gibt nur die Erinnerung an den schlimmen Tod, überlagert vom Gefühl der Verantwortung und der Schuld, selbst überlebt zu haben. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Familienzusammenhangs und der Solidarität innerhalb der Familie in Afrika kann man ermessen, was hier fehlt: Halt, Hilfe, Orientierung, Gelegenheit zum Gespräch über Lebenserfahrungen. Es überwiegt das Gefühl von Verlorenheit – und wenn es nicht einmal eine Zukunftsperspektive gibt (kein Schulbesuch oder keine Berufsausbildung, kein Job), dann wird es ganz trostlos. Betroffen sind vor allem Mädchen und junge Frauen, neuerdings erst kommen auch die Probleme von Jungen und Männern zur Sprache.
Die desolate Lage äußert sich in sog. flashbacks (plötzliche überwältigende Erinnerungen) und zeigt sich in Tränenausbrüchen, im Verstummen, in eingebildeten Kämpfen; manche Überlebende verstecken sich dann im Busch. Die Erfahrungen von 1994 kehren zurück; das Versteckenmüssen und die Angst. Viele Überlebende sind in dieser Zeit zurückgeblieben und kommen in der jetztigen Zeit nie wirklich an.
Das erste, was zu tun ist: Eine/n Betroffene/n aus der Menschenmenge herausnehmen und ihm/ihr einen Raum geben zum Alleinsein, ohne Dinge, mit denen Selbstverletzungen möglich wären. Langsam muss ein solcher Mensch in die jetzige Realität geholt werden, er/sie braucht jemanden an der Seite gegen das Gefühl der Verlorenheit. Wer sich versteckt, muss Weite und Offenheit erfahren. Dabei ist derjenige immer in der Gefahr, wieder in die Vergangenheit zurückzufallen. In einer Gesprächstherapie geht es um biologische, psychologische und soziologische Aspekte der Situation. Die Zahl der unmittelbar Leidenden geht zurück; 2011 waren es an ihrem Krankenhaus 65 Personen, zur Zeit sind es 30.
Der Erfolg einer Behandlung hängt davon ab, ob die Menschen jemanden finden, der sich auf Dauer um sie kümmert. Mehr und mehr fühlen sich die Überlebenden angenommen mit ihren Erfahrungen, weil auch die Politik das Thema entdeckt hat. Als Fachfrau muss man im Umgang mit den Menschen kompetent sein, den Weg und das Ziel kennen und man muss sehr klar sein. Ihre Motivation ist die Arbeit selbst, die sie mag, die Möglichkeit, immer neue Wege – auch gendering – auszuprobieren, ihre christliche Überzeugung und ihr Fachwissen. Trotzdem ist sie manchmal müde, dann muss man einen Supervisor fragen für sich selbst.
Die still Leidenden brauchen jemanden, der auf sie aufmerksam macht; oft helfen die Familien, dass es zu einem Gespräch kommt; es gibt Ansprechpartner im ganzen Land.
„Jeder Ruander/jede Ruanderin hat ein Problem, die Sache war zu schlimm.“
Die physisch Verletzten, denen man ihre Verwundungen ansieht, sind akzeptiert, aber sie fühlen sich nicht angenommen. Die Regierung hilft, aber sie können nur schwer für sich selbst sorgen.
Das Wichtigste ist, sich selbst und die eigene Lebensgeschichte anzunehmen und die positiven Ressourcen eines Menschen zu aktivieren. Mit dem arbeiten, was jetzt da ist verbunden mit der Absicht, dass so etwas nie wieder vorkommt. Diese Perspektive für die Zukunft ist zentral.
Die Arbeit mit Tätern (die im Gefängnis sitzen) ist schwer. Sie haben psychische Probleme, z.B. Depressionen. Ihre Traumatisierung ist stärker, sie schlafen oft nicht, die Tat ist allgegenwärtig. Viele leugnen dennoch die Tat vor sich selbst, manche sprechen zu viel, oft ohne Zusammenhang. Sie können die Tat und sich selbst nicht wirklich annehmen, sie tragen sich mit Selbstmordgedanken und oft sind sie isoliert. Sie brauchen Beistand und Medikamente, weil sie körperliche Beschwerden haben, z.b. Herzbeschwerden. Oft sind sie von der Familie im Gefängnis im Stich gelassen.
Einen Täter in der Familie zu haben, ist nicht einfach. Die Familie wird von anderen, z.B. von Sozialarbeitern betreut; Täter sind oft von Frau und Kindern verlassen.
Täter sagen ihre Beweggründe zur Tat nicht – oder sie sagen, sie töteten im Auftrag, sie mussten töten. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Motiven wäre nur außerhalb des Gefängnisses möglich, ohne den Druck von Konsequenzen.
Es macht zunächst keinen Unterschied, mit Überlebenden oder mit Tätern an ihren Traumatisierungen zu arbeiten. Den Menschen muss geholfen werden, ins Leben zurückzufinden. Eine professionelle Therapeutin nimmt keine Seite ein, sie wird von dem-/derjenigen gebraucht, er/die zu ihr kommt und das gesagt hat. Man muss authentisch sein, ein Arzt, eine Heilerin und sich gut dabei fühlen, wenn jemand zum Leben zurückfindet, das sind die wichtigsten Kriterien. „Ich vergesse, ob jemand ein Opfer oder ein Täter ist. Streng und klar sein in diesen Kriterien gehört zum Beruf. Das ist professionell. Wir sind keine Freunde –wir werden keine Freunde nach der Behandlung.“ Die Menschen werden danach wieder frei gegeben. Das Ergebnis der Behandlung muss reichen, danach gibt es keine Beziehung mehr.
Falls es persönliche Beziehungen zu einem Patienten gibt, übernimmt ein Kollege den Fall. Es ist wichtig, jemand Professionelles zu haben, da alle Ruander ein Problem haben. Alle wollen eine Wiederholung der schlimmen Erfahrungen vermeiden und arbeiten daran.
Wir helfen auch während der Erinnerungswochen im April den Menschen, die mit ihren Erinnerungen zu kämpfen haben und sind bei den Veranstaltungen anwesend.