Eine ganz besondere Teamer_innen-Schulung in Rascheid
Menschensensible Teams und keine Pädagogikmaschinen
Das war eine der interessantesten TeamerInnenschulungen, an denen ich teilgenommen habe, ehrlich. Und ich denke, das ging den anderen 19 Teilnehmenden auch so. Es fing ja schon gut an bei der Vorbereitung: Angehende Profis wie Yannick und Estelle, die von Pädagogik schon viel Ahnung haben, nahmen die Sache selbst in die Hand. Aber es waren auch die Teilnehmenden mit ihrem Gespür dafür, wo Kindern und Jugendlichen der Schuh drückt. Und dann erst die Dozentin aus Bielefeld, die fachlich und methodisch gut war. Aber der Reihe nach:
Wie immer begann das Treffen mit einem breiten Erfahrungsaustausch, in dem vor allem die Probleme zur Sprache kamen, die sog. „schwierige Kinder“ im Zeltlager und auf Fahren mitbringen. Das war eine Steilvorlage für den Input von Yannick: Was ist eigentlich normal? Woher kommen unsere Kriterien zur Beurteilung, ob jemand normal oder verhaltensauffällig ist? Alles Verhalten ist kontextbestimmt und veränderungsfähig. Selbstreflexion ist das A und O des guten Teamers/der guten Teamerin. Und die ständige Frage: Welche Denk- und Handlungsmuster bestimmen mich, die meinen Blick auf die mir anvertrauten Kinder prägen? Die Beispiele aus unserer Praxis wurden mit der Methode „Forumtheater“ (Augusto Boal) bearbeitet und siehe da: Im Abstand zum konkreten Problem und in Ruhe und gemeinsam lassen sich spielerisch Lösungen finden. Hier zeigte sich allerdings auch, welch klasse TeamerInnen in der KSJ sind! Freitagsnachmittags ging es dann nach Trier runter, zur römischen Erlebnisführung durch die Porta Nigra. Der Effekt neben dem Spaß: Einige neue Ideen fürs Sommerlager, das in diesem Jahr als Zeitreise in die Antike geplant ist. Und abends begann dann in Rascheid die Nähwerkstatt, wo alle ausprobieren konnten, was man aus alten Herrenhemden und Kittelschürzen noch machen kann.
Das Thema wurde in eine ganz neue Richtung weitergeführt durch Maya, die Soziologiedozentin aus Bielefeld. Ihr Thema: Inklusion. Das ist fast ein Modewort geworden und taucht fast überall auf, aber ich glaube, so politisch, wie wir es aufgefasst haben, ist es eher selten im Gebrauch. Dass der Erkenntnisgewinn mit Gummibärchen anfing, hätte auch niemand von uns vorher gedacht. Aber pro sozialem Herkunftsvorteil (Eltern Akademiker…) – dem „heritage unearned privilege“ – gab es Gummibärchen und pro Selbsterarbeitetes (Berufsausbildung, Auto…) gab es Katzenpfötchen. Das fiel in der Gruppe recht unterschiedlich aus und so begann das Spiel mit ungleichen gesellschaftlichen Startchancen. Die mussten aber jetzt verteidigt werden gegen Zombie-Angriffe, die in jeder Würfelrunde (ja, das Schicksal ist blind!) ein Gummibärchen pro Person kosteten. Die Gruppe kam sofort spontan auf die Idee, die Gummibärchen in einer Gemeinschaftskasse zusammenzulegen, um die Güter gerecht zu verteilen und die Schwachen vor dem Untergang zu retten. Aber trotz dieser romantisch-kommunistischen Planung (worüber die Dozentin sich wunderte, auf die Idee kamen andere Gruppen nicht so schnell…) tauchten existentielle Fragen auf: Wie werden hohe Güter verhandelt? Was und wer ist bei Not aufzugeben? Was gilt als unaufgebbar? Im Gespräch traten auch uns bekannte Argumente und Mechanismen auf: Wie stark soziokulturelle Normen greifen, zeigt sich vor allem bei Grenzfällen. Inklusion ist eben nicht eine harmlose Nettigkeit, sondern Arbeit an der Veränderung von Strukturen. Die Chance, auf Strukturen verändernd einzuwirken, enthält das Dreieck, das „Trilemma“ der Inklusion, das uns die Dozentin vorstellte: Der Weg geht von Selbstermächtigung (empowerment) über die Erweiterung der Handlungsspielräume (Normalisierung) bis zur Veränderung der Kategorien (Dekonstruktion). Aber nur zwei von diesen Eckpunkten spielen jeweils zusammen, die dritte Ecke verdeutlicht den Widerspruch, in dem sich Denken und Handeln abspielen. Teamer und Teamerinnen sollten auf ihre Empathie vertrauen, dass sie spüren, was ein Kind/ein Jugendlicher gerade braucht: Selbstermächtigung, Normalisierung oder Dekonstruktion. Das sind neue Wörter für Ermutigung, Beteiligung und Widerstand, die praxisnäher klingen. Jugendarbeit ist ein Raum, in dem es nicht schlimm ist, anders zu sein – dieser Satz fiel in der Runde. Die Grenze ist bei Schädigung anderer und dauerhafter Selbstausgrenzung erreicht. Das meiste wird in Teams empathisch und nicht „durchpädagogisiert“ entschieden und das ist auch gut so. Wir wollen ja menschensensible Teams sein und keine Pädagogikmaschinen. Dazu hat die Dozentin ermutigt.
Die Tagung endete mit dem Gottesdienst auf dem Speicher in der Weberbach. Ob Paulus in seinem Brief an die Gemeinde von Korinth schon die Inklusion gemeint hat, ist zu bezweifeln. Aber er war in dieser Richtung unterwegs, denn er beschreibt die Gruppe als fähig, die unterschiedlichen Begabungen und Haltungen ins Spiel zu bringen zum Wohl aller (1 Kor 12). Zu erwähnen wäre noch das supergute Essen und die Idee, unser Gruppenleiterschulungskonzept insgesamt zu überarbeiten und darauf hin zu befragen, ob es dem Anspruch nach Inklusion in der oben beschriebenen Weise genügt. Das wird sicher hochspannend und interessant!