Kriegsrhetorik- 1914 und 2014
Ein Krieg eines solchen Ausmaßes wie der Erste Weltkrieg wäre nicht möglich gewesen ohne eine funktionierende Propagandamaschine, die -auf den Seiten aller Kriegsparteien- die Stimmung anheizt, Durchhalteparolen verbreitet und vor allen Dingen Feindbilder schürt.
In der Verfilmung des Romans „Der Untertan“ von Heinrich Mann gibt es eine Szene, in der eine altarähnliche Vorrichtung gezeigt wird, auf der ein Bild des jeweiligen Kaisers steht. Mit dem Tod jedes alten Kaisers, wird sein Porträt gegen das des neuen ausgetauscht. Sowohl Altar, als auch Bilderrahmen (und der Gesichtsausdruck des jeweiligen Befehlshabers) bleiben immer exakt gleich. Die Botschaft hinter dieser refrainartigen Szene könnte wohl lauten: Die Monarchie bleibt, die Menschen kommen und gehen und sind somit austauschbar. In Anbetracht der in der folgenden Ausführung dargelegten Vorkommnisse, könnte man analog formulieren: Die Feindbilder müssen bestehen bleiben, nur die Personen oder Gruppen, die für diese Feindbilder herhalten müssen, kommen und gehen und sind somit austauschbar.
Der sogenannte Erbfeind des Deutschen Kaiserreichs war damals Frankreich. Heute scheint es Russland in der Personifikation durch Wladimir Putin zu sein.
Der folgende Inhalt bezieht sich auf die beiden Artikel „Putin narrt die Welt mit Lügen“ und „Was Putin wirklich sagt- und was er tatsächlich denkt“ auf Seite 6 der Rhein- Zeitung vom 09.09.14. Zuvor möchte ich, um Missverständnisse auszuräumen, betonen, dass es nicht in meinem Interesse liegt, die Person Wladimir Putins zu verteidigen oder seine Politik in Schutz zu nehmen. Er ist sicher kein Humanist, wie beispielsweise die homophoben Züge seiner Politik oder der zurecht im ersten Artikel als „paternalisitsch“ bezeichnete Ton bei einer Bemerkung Putins zu seiner ehemaligen Ehefrau zeigen.
„Keine Lüge ist Putin zu dreist, keine Erklärung zu hanebüchen, um die russische Aggression in der Ukraine zu rechtfertigen. Zum Ziel des eigenen Machterhalts ist er bereit, den Frieden in Europa zu gefährden“, heißt es im ersten der beiden Artikel. Weiterhin lauten die Vorwürfe, Putin würde die Sicht der Dinge vereinfachen und in seinen Reden in alten „Freund-Feind-Schema[ta] des Kalten Krieges“ verhaftet bleiben. Das Bemerkenswerte an diesen Einschätzungen ist, dass beide Artikel sich eben jener Sprach- Kategorien bedienen, die in die Freund-Feind-Schemata des Kalten Krieges zurückfallen: Auf der einen Seite Wir- der demokratische, friedliche und ehrliche Westen, der fest auf dem Boden der Menschenrechte steht.. Auf der anderen Seite die Anderen- das korrupte und despotische Russland, repräsentiert in der Person Wladimir Putins. Genau dies ist die vereinfachende Weltsicht, die die Autorin dem Kremlchef vorhält. Es ist geradezu ein Paradebeispiel für den Verdrängungsmechanismus, den man in der Psychoanalyse als „Projektion“ bezeichnet.
Darstellungen von verschiedenen Parteien, die lediglich auf die Farben schwarz und weiß zurückgriffen und dabei Grautöne außer Acht ließen, haben sich seit jeher als falsch bewahrheitet. Ein lehrreiches Beispiel bietet dafür etwa der Blick in die Geschichte vor 100 Jahren.
Einige Anfragen an die im Artikel idealistisch dargestellte Ideologie der westlichen Staaten seien hier gestellt: Wie ehrlich ist eine Demokratie, die aufrechte Menschen vor Gericht stellt, die sich seit Jahren gegen Faschismus und Rassismus engagieren und dafür auf die Straße gehen? Zu erwähnen ist hier exemplarisch für alle anderen Schauprozesse der Prozess um Lothar König in Sachsen.
Wie demokratisch ist ein Land wirklich, in dem der Verfassungsschutz die Gründung und den Aufbau rechtsrextremer Terrororganisationen wie der NSU nicht nur toleriert sondern anscheinend noch aktiv befördert hat? Und wie viel zählen Menschenrechte, wenn amerikanische Geheimdienste wie die CIA Waterboarding und Ähnliches als „Verhörmethoden“ praktizieren? Oder wenn Drohnen im sogenannten „Kampf gegen den Terror“ eingesetzt werden? Oder wenn jeden Tag Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, weil Europa keine menschenwürdige Asylpolitik betreiben möchte? Insofern stellt sich die Frage, was genau unter den „westlichen Werten“ zu verstehen ist, die die Autorin als erstrebenswert präsentiert
Der Artikel „Putin narrt die Welt mit Lügen“ versucht, Putin als den moralisch verwerflichen Bösewicht, den Westen hingegen als seinen moralisch integren Gegenspieler darzustellen. Konstantin Wecker singt: „Ich hasse die Moral! Immer wenn moralischer Eifer im Spiel ist, fängt man an, sich die Köpfe einzuschlagen“[1]. Der deutsche Philosoph und Publizist Robert Kurz, interpretiert Moral sogar als ein Prinzip, nachdem man sich selbst im ungerechtesten System die Hände in Unschuld waschen kann[2]. Ähnlich formuliert es der Soziologe und Soziapsychologe Harald Welzer, der die Bedeutung von Moral im Kontext von Völkermorden untersucht hat[3].
Den Ansprüchen eines unabhängigen, investigativen Journalismus genügt der Artikel „Putin narrt die Welt mit Lügen“ sicher nicht. Im Kontext des zweiten Artikels „Was Putin sagt- und was er tatsächlich denkt“, zeigt er, was Kriegsrhetorik und Propaganda heute sind. Im besagten zweiten Artikel werden Zitate Putins abgedruckt, die dann anschließend vom Autor interpretiert werden. Ironischerweise wird dieser Vorgang als „Analyse“ bezeichnet. Jeder_m, die_der auch nur einen kleinen Einblick in die Arbeit nach wissenschaftlichen Prinzipien erhalten hat, läuft es kalt den Rücken hinunter, wenn die aus ihrem Kontext gerissenen Zitate und ihre Deutungen (im Artikel „Übersetzung“ genannt) allen Ernstes als „Analyse“ bezeichnet werden. Die sogenannte Übersetzung des Zitats „Weil die USA und die EU einen Putsch unterstützen, kam es zum Chaos in der Ukraine“ lautet „Vergesst euer neues Weltbild- wir kehren zur Sprache des Kalten Krieges zurück, weil Russland wieder eine Macht auf Augenhöhe sein will“. Wenn die Sprache nach dem Kalten Krieg, wie es der Autor hier unterstellt, wirklich bedeutet, dass Russland keine Macht auf Augenhöhe ist, wäre es dann nicht nötig, diese Sprache und die Politik, die offenbar zwangsläufig Feindbilder produzieren muss, auf den Prüfstein zu stellen? Andernfalls wären die Ereignisse in der Ukraine absehbar, wie es etwa der ehemalige US- Diplomat John Matlock in einem Interviev mit der taz formuliert[4].
„Wo der Krieg beginnt wissen wir. Aber wo beginnt der Vorkrieg?“[5] Er beginnt ganz sicher bei Artikeln, in denen die Autor_innen ihrem Unmut freien Lauf lassen, dabei auf Vereinfachungen und Schwarz- Weiß- Darstellungen zurückgreifen und den Blick unter die Oberfläche unterlassen.
[1] Konstantin Wecker, Willy 4, beispielsweise auf dem Album „Mey, Wader, Wecker- Das Konzert“ von 2003.
[2] Robert Kurz, Weltkrise und Ignoranz, Kapitalismus im Untergang, Edition Tiamat, 2013.
[3] Harald Welzer, Täter: Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Fischer, 20064.
[4] http://taz.de/Ex-US-Botschafter-ueber-Ukraine-Krise/!145581/, Abruf am 09.09.14.
[5] Christa Wolf, Kassandra, Randoum House GmbH, 2004.