Stellungnahme der KSJ|Antiforum
Stellen wir uns folgende Situation vor: Es ist ein warmer Sommertag und wir flanieren gemächlichen Schrittes durch die Koblenzer Innenstadt. Auf dem Zentralplatz betreten wir das neue Einkaufscenter, das „Forum Mittelrhein“. „Wir shoppen nicht, wir kaufen uns glücklich“, lautet der Slogan, der uns bereits an den Eingangstür in die Augen sticht. Im Innern des Gebäudes überkommen uns Zweifel, ob der gemütliche Spaziergang ein realistisches Ziel ist: „Wir bummeln nicht, wir haben einen Plan“. Nebenbei werden wir mit einer schier unendlichen Masse von Eindrücken bombardiert: Ein undefinierbares Gemisch von Gerüchen bahnt sich aus diversen Parfümerien seinen Weg, auf den Werbeplakaten von Unterwäscheläden räkeln sich nackte Frauen, auf der Homepage des Forums finden sich ähnliche Slogans wie „Das ist kein Kleid, das ist mein neues Ich“, wiederum an einer anderen Ecke den Spruch „Das ist keine Lederjacke, das ist Rebellion“…
Die Frage, die sich beim Betrachten der Plakate stellt, ist die nach der Motivation und den tiefer liegenden Werten, die hinter der Werbung steckt. „Wir shoppen nicht, wir kaufen uns glücklich“. Glück unweigerlich konnotiert mit dem Akt des Kaufens, dem des Geldausgebens. Hier ist erst mal zu klären, was Glück für jede_n Einzelne_n von uns bedeutet. (Erich Fromm: Definition von Glück? Gibts dazu was in Haben oder Sein bzw. die Kunst des Liebens?) Glück bedeutet, seine Bestimmung gefunden zu haben und in einer Tätigkeit aufzugehen. Es bedeutet nicht, weiter mit Klischees und Rollenbildern zu hadern, die versuchen, den Menschen in ein bestimmtes, „funktionierendes“ Ideal zu pressen. Im Gegenteil bedeutet Glück, seine Individualität und die seiner Mitmenschen zu akzeptieren und eine Zufriedenheit gegenüber der Gegenwart zu entwickeln. Glück ist kein Ding, das sich in den Händen halten lässt und auch kein Schultest, den es zu bestehen gilt; Glück resultiert aus einer eigenen, inneren Einstellung sich und seinen Mitmenschen gegenüber.
Kann Kaufen Glück sein? Hieße das nicht, dass all die Hartz4-Empfänger_innen, diejenigen unter uns, die im Niedriglohnsektor, in der Zeitarbeit oder in anderen prekären Arbeitsverhältnissen angestellt sind, dazu verdammt sind, im Unglück zu leben? Der Begriff „Shoppen“ besteht eigentlich aus zwei Teilen. Einmal geht es da um die urmenschliche Sehnsucht nach Schönem. In einem positiven Verständnis von Schönheit geht es wiederum nicht um das Hinterherrennen von Schönheitsidealen, sondern um Selbstverwirklichung. Plakativ ausgedrückt nicht um das Abnehmen um in das neuste Jeansmodell zu passen, sondern um das Verändern einer standardisierten Jeans, dass sie der eigenen Persönlichkeit entspricht. Die Sehnsucht nach Schönem äußert sich im Genuss; auch von materiellen- aber vor allem von nichtmateriellen Dingen. Das mit Mitmenschen sich in Kleiderläden ausprobieren, das Durchwühlen von CD-Tischen, das Flanieren vorbei an Geschäften mit einem Eis in der Hand und nicht zu vergessen, der frische Kaffee in der Nachmittagssonne nach einem erlebnisreichen Tag, all das kann Genuss bringen, ja bis zu einem gewissen Grad vielleicht sogar eine Form von Glück darstellen. Und das Schieben von Bargeld oder einer Plastikkarte über eine weiß lackierte Ladentheke, das unweigerliche auch zum „Shoppen“ dazugehört? Kann das Spaß machen? In einem Akt der sich auf Käufer und Verkäufer, auf Angebot und Nachfrage, auf Geld haben und Geld wollen reduziert, kann es nicht um Spaß oder gar Glück gehen. Werte, wie Gemeinschaft, Ästhetik, Genuss, die möglich hinter dem Vergnügen des „Shoppens“ stecken, werden beim Kaufen auf den Mehr-“Wert“ der Kapitalvermehrung reduziert. Von einem wirklichen Wert, der hinter dem Werbeslogan steckt, kann also nicht die Rede sein. „Wir shoppen nicht, wir geben Geld aus“ wäre immerhin ehrlich; aus Sicht der Eigentümer des Forums wäre es wohl: „Wir shoppen nicht, wir wollen euer Geld“. So gesehen versucht auch das Wort „Shoppen“ unsere Sehnsucht nach Schönem mit dem Akt des Geldausgebens zu verknüpfen, um den Profit von Unternehmen zu steigern.
Bei einem anderen Slogan geht es wieder um das Verdrehen von Werten mit der Vermehrung von Geld. „Wir bummeln nicht, wir haben einen Plan“. Das durchstrukturierte „Plan haben“ wird hier über das zweckfreie „Bummeln“ gestellt. Hinter beidem können durchaus Werte stecken, etwa Zuverlässigkeit oder Entspannung. Und mal abgesehen davon, dass „einen Plan haben“ und trotzdem bummeln, nicht unbedingt einen Widerspruch darstellen müssen, geht es den Machern dieser Werbung schlicht um Planungssicherheit. Wer einen Plan hat, weiß haargenau wo sie/er wie viel Geld ausgeben möchte und eignet sich so ideal zur Planung der Kapitalvermehrung eines Unternehmens. Wer hingegen bummelt, ist nicht vorhersehbar; sie_er legt nicht offen dar, wo Geld in welcher Höhe ausgegeben wird. Für einen Konzern, der nur am Portemonnaie der Käufer interessiert ist, ist der „Bummler“ natürlich eine Unsicherheit und somit nicht der Idealtyp eines Kunden. Daher versucht der Unternehmer über seine Werbung das Bummeln indirekt mit negativen Eigenschaften zu verbinden. Der Slogan „Wir bummeln nicht, wir haben einen Plan“ versucht zu suggerieren, dass Bummeln und eine selbstbestimmte und zweckfreie Art und Weise, sein Leben zu führen, nicht erstrebenswert ist. Er versucht, Menschen einen Idealtypus des Planbaren sowie des Vorhersehbaren aufzudrücken. Ein weiteres Beispiel von gewollter, geistiger Manipulation zwecks Anhäufung von Geld.
Interessant und aufschlussreich sind dabei noch zwei Werbeslogans, die sich auf der Internetseite des Forums finden: „Das ist kein Kleid, das ist mein neues Ich“ (http://www.forum-mittelrhein.com/news-events/) und „Das ist keine Lederjacke, das ist Rebellion“ (http://www.forum-mittelrhein.com/news-events/events-aktionen/kalender/). Bei beiden ist im Hintergrund jeweils ein junges Model zu sehen, welche wohl kokett bzw. rebellisch in die Kamera schauen. Die Zielgruppe dieser Werbung ist offensichtlich: Jugendliche. Eben jene Menschen, die noch mit sich und der Welt hadern, die auf der Suche nach Werten sind, denen die alles in Frage stellen und die angeleitet werden müssen, einen kritischen Charakter zu entwickeln. Und genau diesen Menschen, wird eingebläut, dass Persönlichkeit durch ein Kleid oder eine Jacke entstehe und ebenso austauschbar sei. Diese Werbung leitet dazu an, ein fremdbestimmtes Leben zu führen. Das, was das Forum durch Manipulation mit Werbung an Jugendlichen versucht, ist nichts Anderes als Volksverdummung. Jede andere in diesem „corporate desing“ verfasste Werbung, lässt sich nach dem gleichem Muster analysieren. Werte, die ein jeder Mensch in sich trägt, werden umgedeutet, bzw. positiv und negativ gewertet, um ein einseitiges Bild davon zu zeichnen, dass glücklich allein ist, wer konsumiert.
Albert Schweitzer spricht von „Ehrfurcht vor dem Leben“. Mit Ehrfurcht vor dem Leben hat das, was dem Menschen im Forum suggeriert wird, wenig zu tun. Im Gegenteil, denn das Leben an sich, also das Unverzweckte, das Kreative oder die Fähigkeit zu genießen werden verklärt. Leben ist Konsumieren, das ist der Slogan, der sich hinter den Werbesprüchen verbirgt. Ehrfurcht vor dem Leben jedoch impliziert, dass es eben nicht um den Konsum geht, sondern der Mensch mit seinen Gefühlen, seiner Freude und seinem Leiden im Mittelpunkt steht. Diese Tradition ist zugleich auch eine biblische. Denn was veranlasst einen Wanderprediger aus Nazareth, in den Tempelvorhof von Jerusalem zu stürmen, dort die Tische der Geldwechsler und Händler umzustoßen und diese aus dem Tempel zu jagen? Dieser Mensch, der als „Fresser und Säufer“ (Lk 7,34) bezeichnet wird, scheint alles andere als ein sparsamer oder gar geiziger Mensch zu sein. Und trotzdem reagiert er voller Zorn gegen die Geschäfte im Tempelvorhof. Warum? Weil er erkannt hat, dass sie im Unterschied z.B. zu dem Vergnügen des gemeinsamen Speisens nicht dem Menschen dienen. Es ging den Händlern nicht darum, die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern darum, aus deren Ausübung ihrer religiösen Rituale Profit zu schlagen, etwa durch den überteuerten Verkauf von Opfertieren1. Er hatte erkannt, dass ein Mensch nicht gleichzeitig dem Geld und Gott dienen (das heißt, den Schriften der Tora folgen) kann (vgl. Mt 6,24). Dieser Widerspruch lässt sich analog auf das Forum übertragen: Es versucht dabei aus der Freude am Schönen Profit zu schlagen. Die Werbung unterstützt dieses Vorhaben auf ganz subtile Weise, in dem sie Menschen ihr Mensch-Sein abspricht und durch ein Konsument-Sein ersetzt. Dieses Einkaufszentrum dient nicht den Interessen des Menschen, der Mensch soll dem Einkaufszentrum und vor allem den Konzernen dienen.
Ebenso wie vor über 2000 Jahren ruft diese Erkenntnis auch in der Gegenwart zum Widerstand auf. Oft wird behauptet es gäbe keine Alternativen zu den Marktzwängen, was für den „kleinen Bürger“ nichts anderes heißt, als dass er keine Alternativen zum Konsumieren hätte. Mit dem Wissen, dass es immer Alternativen gibt, wehren wir uns genau dagegen. Wir leisten Widerstand für ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das den Menschen als solchen in den Vordergrund stellt und nicht den Menschen zum Konsumenten verklärt. Bummeln, schlendern, unverzweckte „Zeitvergeudung“, die Zeit mit wirklich schönen Dingen erfüllen, kreativ sein, spielen, singen, sich mit Freund_innen treffen; all das sind konkrete Ansatzpunkte, um Widerstand gegen ein von Leistungsdruck und Konkurrenzkampf geprägtes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu leisten. Wir wollen nicht weiter in Wettbewerb mit unseren Mitmenschen stehen, sondern solidarisch zusammenleben. In unserer Welt ziehen Menschen tanzend vor Straßenmusikern her, reißen Hochhäuser für Parks ab, feiern spontan Feste, nur um mit anderen Menschen zusammen zu sein und brechen so aus dem gewohnten Trott aus. Unser Gott ist Mensch nicht Geld. Aus diesem Grund shoppen wir nicht. Wir sind schon glücklich!
1 Vgl. Albert Nolan, Jesus vor dem Christentum, S. 143ff.
Offener Brief der KSJ zur Aktion
An
ECE Projektmanagement GmbH & Co.KG
Forum Mittelrhein Koblenz
Center Management
Zentralplatz 2
56068 Koblenz
Koblenz, den 9.11.2013
Sehr geehrte Damen und Herren,
möglicherweise wurden Sie über unsere Aktion am 9.11. informiert oder haben Sie selbst sehen können. Unsere tiefergehende Kritik am Konzept des Forums können Sie auf unseren Flugblättern oder unserer Stellungnahme (www.ksj-trier.de) nachlesen.
Aber warum haben eine Hand voll Menschen mit anderen und alternativen Vorstellungen diese Aktion durchgeführt und diese Texte geschrieben?
Die Aktion sollte zum Denken anregen. Jede_r, die_der von ihr mitbekommen hat oder erzählt bekommen hat, hat die Möglichkeit, sich mit den von uns aufgegriffenen Werbesprüchen und dem dahinter liegenden Wertesystem auseinanderzusetzen und womöglich zu bemerken, auf welch plumpe Weise sie_er auf ein konsumierendes Wesen reduziert wird.
Nicht alle Menschen, die durch das Forum laufen, die Werbung sehen und die Sprüche lesen, lassen sich davon manipulieren und überzeugen. Das Forum ist ein Konsumtempel, der mit seinem Werbekonzept Menschen vorlügt, sie könnten sich Glück, Individualität und eine Persönlichkeit erkaufen und letztere beliebig austauschen wie Kleidung. Doch tatsächliche Individualität und wirkliche Autonomie lassen sich nicht an- und ablegen wie ein Kleid oder eine Lederjacke. Autonomie zeigt sich vielmehr in kritischer Auseinandersetzung mit solchen Verkaufs- und Werbekonzepten. Das ist dann Rebellion: Ein Hinterfragen von und Widerstand gegen die Vereinnahmung durch unmögliche Wertvorstellungen.
Es gibt immer Alternativen, denn alles kann immer auch anders.
Mit freundlichen Grüßen,