„Worte aus Zeiten der Angst“
„Angst“ – unter diesem Stichwort standen die KarTage der KSJ im Jugendhaus Rascheid
Schon der Einstieg ins Thema zeigte, dass die Angst – mit diesem Wort sind ganz unterschiedliche Ängste gemeint – ganz unterschiedliche Wirkkräfte hat. Die Angst, nicht genug zu tun für Schule und Uni oder die Angst zu versagen, können sich zu echten Stressfaktoren auswirken, die sogar lähmende Wirkung haben. Die Angst, vor Menschen zu reden, kann dagegen Kreativität und Risikobereitschaft freisetzen. Dass es auch die Angst vor der Freiheit gibt, weil es bequemer ist, im gewohnten Käfig zu bleiben, geben einige Texte aus dem Buch Exodus wieder, die wir bei der Haggadah-Lesung am Abend hörten. Die Freiheit setzt voraus, dass man sich diesen Ängsten stellt und einen gemeinsamen Weg findet, sie zu überwinden. Auch wenn es sehr kalt war, wurde die Nachtwache in Schichten in der Annakapelle durchgehalten, mit der Chance, doch noch eine Stunde Schlaf zu kriegen, bevor die Klepperkinder aus dem Dorf ihren gewohnten Höllenlärm im Jugendhaus veranstalteten. Aber das kann man den Kindern nicht versagen, sie haben zuviel Spaß und unsereins kann sich danach ja noch mal im Bett umdrehen…Außerdem hatten sie sich durch den Schnee gekämpft und waren froh, ausnahmsweise in ein warmes Haus zu kommen.
Am beeindruckendsten war in diesem Jahr die Veranstaltung in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Hinzert, zu der wir offen über die Zeitungen und mit Plakaten eingeladen hatten. Anstelle des sonst üblichen Kreuzweges am KarFreitagNachmittag hatten wir Texte aus dem „kollektiven Tagebuch“ von Walter Kempowski ausgesucht. Da stehen kurze, alltägliche Notizen aus Himmlers Tagebuch neben medizinischen Anmerkungen zum Gesundheitszustand des Führers aus dem Führerbunker neben Angstberichten von der Ostfront, normale Alltagserfahrungen neben Ungeheuerlichkeiten aus Auschwitz, alle versehen mit dem gleichen Datum. Das nebeneinander gelesen, wirkt beklemmend und ergibt tiefe Einblicke in die Zusammenhänge der damaligen politischen und gesellschaftlichen Situation. Die Texte wurden immer wieder unterbrochen durch kurze Sätze aus der Passion Jesu und von wunderbar eindringlicher Klezmer-Musik (Geige: Ariadne Baresch), das meiste davon in Ghettos geschrieben. Die Brücke zur Aktualität bildete dann das Lied über die ruandischen Hügel von Jonas Becker, das in Erinnerung ruft, wie nah dieser Völkermord noch ist. Nach dem letzten Gedicht blieben die Leute – unsere Veranstaltung war gut besucht – noch einige Minuten sehr still sitzen. Es stammt von Birage Dio aus dem Senegal und heißt „Der Hauch der Ahnen“:Erlausche nur geschwind/ die Wesen in den Dingen/ Hör sie im Feuer singen/ hör sie im Wasser mahnen/ und lausche in den Wind:/ Das ist der Hauch der Ahnen./ Die gestorben sind, sind niemals fort/ sie sind im Schatten, der sich erhellt/ und im Schatten, der tiefer ins Dunkel fällt./ Sie sind in dem Baum der dröhnt/ und sind in dem Baum der stöhnt/ sie sind in dem Wasser, das sich ergießt/ wie im Wasser, das schlafend die Augen schließt/ sie sind in der Hütte, sie sind im Boot:/ die Toten sind nicht tot.“Noch vor dem KarSamstagsFrühstück hatten Joachim Keil und Astrid Franz das Gedicht „Intonation“ von Kurt Marti vertont und weckten damit alle: „singet dem herrn/ der nie eine uniform trägt/ der nie eine waffe ergreift/ der tote zum leben erweckt/ singet dem herrn/ der nie einem fahnentuch traut/ der nie an parolen sich hängt/ der feinde als brüder entlarvt.“
Das wurde auch unser zentrales Lied für die Osternacht, zu der genau so viele Leute aus Rascheid, Trier, Saarbrücken und Bendorf dazukamen, dass sie gerade in die Annakapelle passten. Durch die Kerzen wurde es drinnen warm gegen die eisige Kälte draußen. Ermutigung ging von der Osternacht aus und die Zuversicht, dass sich die Angst vertreiben lässt durch Solidarität und Gemeinschaft, wie das Licht der Osterkerze das Dunkel verscheucht und die Wärme des Osterfeuers die Kälte, so haben wir das gesehen. In diesem Jahr gab es nach dem Osternachtgottesdienst ein besonders leckeres Festessen im Haus, mit vegetarischen Spezialitäten und selbstgebackenem Brot. Klar fiel dann am Ostermorgen das Aufstehen schwer, aber die Körbchen aus Kirenge/Ruanda gefüllt mit fairen Ostereiern waren eine Einladung, der niemand sicher erwehren konnte. Die Reflexionsrunde ergab ein besonderes Lob an unsere Musikerinnen und Musiker und die Gewissheit, dass die KarTage im nächsten Jahr wieder in Rascheid stattfinden werden, in enger Verbindung zur Gedenkstätte Hinzert.